23. Juni 2025
Wer stand in letzter Zeit nicht ratlos vor dem Schoko- oder Kaffeeregal? Die Preise steigen, und viele fragen sich: Lohnt sich der Genuss noch? Wie lange werden diese Preissprünge und Lieferengpässe noch anhalten? Die Gründe sind bekannt: Klimawandel, höhere Nachfrage, gestörte Lieferketten. Aber entscheidend ist: Können wir etwas dagegen tun?
Die klassische Lieferkette vom Acker bis zum Teller ist lang, teuer und klimaschädlich Sie hängt von Regen, stabilen Temperaturen und viel Fläche ab. Doch genau diese Faktoren werden immer unberechenbarer.
Forschende setzen auf Präzisionsfermentation und Zellkultivierung – zwei moderne Verfahren mit vertrauten Grundlagen. Damit lassen sich ähnliche oder sogar bioidentische Lebensmittel deutlich schneller herstellen als mit konventioneller Landwirtschaft. Bei der Präzisionsfermentation produzieren Mikroorganismen gezielt bestimmte Inhaltsstoffe – zum Beispiel Proteine, Enzyme oder Vitamine – auf saubere und effiziente Weise.
„Das ist wie Bierbrauen – nur ohne Alkohol“, sagt Morten Holm Christensen, Application Manager for Biotechnology bei GEA. „Stattdessen nutzen wir Hefe oder Bakterien gezielt, um etwa Milchproteine, Eiweiß oder Kakaobestandteile herzustellen.“ Die Mikroorganismen arbeiten in Tanks, den Fermentern, und erzeugen den gewünschten Stoff, der anschließend gesammelt und gereinigt wird.
Auch die Zellkultivierung verkürzt die Lebensmittelproduktion deutlich. Dabei wird einer Pflanze oder einem Tier eine winzige Zelle entnommen. Diese kommt in eine nährstoffreiche Mischung – im Grunde Futter für die Zelle – und wird in einer warmen Umgebung kultiviert. Dort beginnt sie zu wachsen und sich zu vermehren, ganz wie im Körper eines Tieres oder in der Erde. Nach kurzer Zeit entsteht genug Biomasse, die geerntet und zu einem bioidentischen Produkt verarbeitet werden kann – etwa zu Hühnerfleisch, Milch oder Kaffee.
„Diese Verfahren haben eine deutlich höhere Umwandlungseffizienz“, sagt Christensen. „Sie machen die langwierige Aufzucht von Tieren oder Pflanzen überflüssig – und sparen zugleich Ressourcen wie Futter, Wasser, Dünger und Pestizide.“
Morten Holm Christensen
Application Manager for Biotechnology, GEA
Die Lebensmittelpreise sind derzeit alles andere als stabil. Wir müssen tiefer ins Portemonnaie greifen – auch für den morgendlichen Milchkaffee oder unsere Lieblingsschokolade. Kakao und Kaffee benötigen Rohstoffe, die nur in einer begrenzten Anzahl von Gebieten vorkommen und dort zudem ganz speziellen Wetterbedingungen ausgesetzt sind. Wetterextreme, Getreidekrankheiten und Landnutzungskonflikte haben zu einer Verknappung von Kaffeebohnen und Kakao geführt. Die Folge: Die Preise steigen, die Nachfrage gleichzeitig aber auch.
Interessanterweise schmecken weder Schokolade noch Kaffee im Rohzustand so wie das fertige Produkt. Geschmack und Mundgefühl hängen also nicht allein von den Bohnen ab. Mit anderen Zutaten und Verfahren lassen sich diese Eigenschaften nachbilden. Eine Möglichkeit für kakaofreie Schokolade ist die Nutzung landwirtschaftlicher Seitenströme. Ein deutsches Unternehmen verwendet Reststoffe aus der Sonnenblumenölproduktion und kombiniert sie mit Hefe in der Präzisionsfermentation. Das Ergebnis: Schokolade, die in Geschmack, Mundgefühl und Knacken kaum vom Original zu unterscheiden ist.
In Europa und Großbritannien kommen dieser Inhaltsstoff und eine passende Kakaobutteralternative bereits in verschiedenen Produkten zum Einsatz. Dabei entstehen bis zu 90 Prozent weniger CO₂-Emissionen als bei herkömmlicher Schokolade. Auch ein Start-up in Singapur nutzt Fermentation – und verarbeitet Sojapulpe aus der Tofuherstellung zu kakaofreier Schokolade. Das Unternehmen plant, das Produkt noch in diesem Jahr auf dem B2B-Markt einzuführen.
Auch echte Kakaozellen lassen sich heute in Bioreaktoren kultivieren. So entstehen bioidentische Zutaten wie Kakaopulver und -fett, die an Lebensmittelhersteller geliefert werden.
Ein Biotech-Unternehmen in Kalifornien geht noch weiter: Es stellt Schokolade aus kultivierten Zellen von Kakaopflanzen her. Die Zellen wachsen in Gärtanks unter Bedingungen, die denen im Regenwald ähneln. Nach drei bis vier Tagen werden sie geerntet, fermentiert und geröstet – genauso wie bei herkömmlicher Produktion. Die Marktzulassung durch die US-Behörde wird für 2026 erwartet.
Auch bei Kaffee führen neue Wege über Präzisionsfermentation und Zellkultivierung. Ein Start-up aus Singapur nutzt Präzisionsfermentation, um bohnenfreien Kaffee aus wiederverwertetem Brot, Sojapulpe und Gerstentreber herzustellen. Das Produkt ist bereits im Einzelhandel erhältlich.
Ein Biotech-Unternehmen in Israel setzt auf Zellkultivierung: Es extrahiert Zellen aus Kaffeepflanzen und kultiviert sie in einer Nährlösung. Innerhalb von nur drei Wochen entsteht daraus die gleiche Kaffeemenge, die sonst 1.000 Bäume und mehrere Jahre benötigen würden. Die getrocknete Biomasse wird anschließend geröstet – und sieht aus wie klassisches Kaffeepulver, inklusive Koffein. Der nächste Schritt: die Zulassung durch die Behörden.
Ein Start-up aus Zürich geht einen ähnlichen Weg. Es bezieht seine Kaffeezellen aus Arabica-Pflanzen, die lokal in Gewächshäusern wachsen – und schafft so die Grundlage für ein potenziell vollständig lokal produziertes Produkt.
Heute stammen die meisten Kaffee- und Kakaoprodukte aus wenigen Sorten, die sich gut in großen Mengen anbauen lassen. Zellkultivierung kann die Vielfalt erhöhen – denn auch seltene Sorten lassen sich in kleinen Chargen züchten. So bekommen Verbraucherinnen und Verbraucher mehr Auswahl – ganz ohne zusätzliche Anbauflächen.
Morten Holm Christensen
Application Manager for Biotechnology, GEA
Wie sich bohnenfreier Kakao und Kaffee, süße Proteine und viele andere neue Lebensmittel herstellen lassen, ist technologisch bereits klar. Möglich machen das präzise Gensequenzierung und robuste Zelllinien. Jetzt kommt es darauf an, regulatorische Hürden zu nehmen und die Produktion zu skalieren. Denn die traditionelle Landwirtschaft stößt ökologisch an ihre Grenzen – und diese neuen Verfahren könnten helfen, das System zu entlasten.
Um die Zeit vom Laborerfolg bis zum Massenmarkt zu verkürzen, müssen Unternehmen Hürden bei Kosten, Volumen und Qualität überwinden. Dafür braucht es Anlagen, die effizient, hygienisch und rund um die Uhr laufen.
„Unternehmen wie GEA, mit ihrer Erfahrung in Lebensmittelverarbeitung und zellulärer Landwirtschaft, schaffen genau diese Voraussetzungen“, erklärt Christensen. „Unsere Testzentren sind mit modernster Technik ausgestattet – dort helfen wir Herstellern, ihre Prozesse zu testen, Investoren zu überzeugen und schneller auf den Markt zu kommen.“
Während sich viele Innovationen aktuell auf Zutaten konzentrieren, werden biotechnologische Lösungen künftig auch für Endprodukte immer wichtiger – und helfen dabei, die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage bei Produkten zu schließen, auf die wir nur ungern verzichten würden.